In den 50ern gab es kaum nennenswerte Unterschiede in der Tanzmusikszene West und Ost. Ab 1959 wurde der Rock n Roll in der DDR verboten. Freie Amateur-Bands hielten sich nicht an dieses Verbot, staatliche Orchester und auch Bands aus Berufsmusikern mußten dieses Verbot strikt einhalten, weil sie sonst ihren Beruf nicht mehr hätten ausüben können. Der private Besitz von Schallplaten westlicher Herkunft war bis zum Mauerbau 1961 noch erlaubt. Das änderte sich dann schlagartig. Stasi und Kripo machten Hausdurchsuchungen und beschlagnahmten alle westlichen Schallplatten. Der Besitz war jetzt nach dem Mauerbau strafbar und die Besitzer kamen ins Gefängnis. Trotzdem gelang es der DDR nie, schwarze Bestände völlig zu beseitigen. Da man aber nun nicht mehr an internationale Musikkonserven herankam verlegte sich die Jugend der DDR notgedrungen auf den Besuch von Live- Veranstaltungen. Während die Musikindustrie im Westen zweigleisig fuhr und sowohl Musik für die ältere Generation als auch gleichberechtigt für die Jugend produzierte, war der DDR die Jugend garnicht soviel wert. Dort wurde einseitig nur Musik für die ältere Generation produziert. Das wollte die DDR-Jugend aber so nicht hinnehmen. Es entwickelte sich eine Szene besonderer Art. Die Berufsmusiker spielten aus Angst vor dem Staat brav die DDR-Schlager, die bei der Jugend auf totale Ablehnung stießen. ( Das änderte sich erst in den 70ern ) Darum spielten diese Berufsorchester und Bands auch überwiegend vor halbvollen oder leeren Sälen. Die Jugend selbst suchte teilweise Ausweichmöglichkeiten in kirchlichen Einrichtungen oder organisierte illegale Live-Veranstaltungen. Eine weitere Rolle spielte dabei auch die Musiktechnik, die in der DDR im internationalen Maßstab niemals mithalten konnte. So gab es für den jugendlichen Normalverbraucher als erschwinglichen Gitarrenverstärker ein 12-Watt ( Sinus ) Gerät namens " Artist " für 650 DDR-Mark bei einem Monarsverdienst von 350-400 DDR-Mark. Welche Klangqualität bei 12 Watt Sinus herauskam muß ich dem Fachmann wohl nicht erklären. Erst in der zweiten Hälfte der 60er baute die DDR bessere Verstärker namens Regent 40 ( 25 Watt Sinus ) und Regent 60 ( 40 Watt Sinus ), jedoch zu horrenden Preisen und für jugendliche Musiker nicht erreichbar. Dadurch wurde der Eigenbau angeregt. Teilweise versuchten die jugendlichen Musiker , dieser Miesere dadurch zu begegnen, daß sie eine Betriebsband gründeten und die Finanzierung der Instrumente vom Betrieb übernommen wurde. Dann hatten sie zwar eine bessere Ausrüstung aber im Gegenzug wurden alle ihre Auftritte vom Betrieb kontrolliert. Somit waren sie in ihrer Programmgestaltung nicht mehr frei und mußten die unbeliebten DDR-Schlager spielen, was mit Publikumsverlust einherging. Es bestand nämlich in der DDR ein Gesetz , wonach man bei einer Veranstaltung 60% DDR-Musik spielen mußte und 40% westliche Musik spielen durfte. Wer sich nicht daran hielt, wurde bestraft. Es gab in der DDR eine Staatliche Organisation " AWA ". Das war das Gegenstück zur " GEMA " und hatte aber eine andere Aufgabenstellung. Die Aufgabe der AWA ( Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte ) war es, Musiker zu bespitzeln, ob sie sich denn auch an diese 60-40 Regelung hielten. Diese Spitzel saßen als harmlose Gäste getarnt in den Tanzlokalen. Wenn sie jemanden erwischten, wurden diese Musiker mit Geldstrafe belegt. Dann gab es da noch die hartgesottenen, die sich nicht verbiegen ließen und weiterhin 100% West spielten und damit auchn ihre Abneigung gegen das diktatorische Regime zeigten. Das hatte zur Folge, daß diese Gruppen, die vorrangig bespitzelt wurden,zunächst mit Geldstrafe belegt wurden, unter Androhung von Auftrittsverbot. Wenn das nicht half und wenn diese Gruppen weiterhin nur Westmusik spielten, folge besfristetes Auftrittsverbot nicht unter einem Jahr. War das noch nicht genug, folgte lebenslanges Auftrittsverbot. Dieses hat sich aber überholt weil die DDR tot ist und wir leben. Natürlich gab es in der DDR für Westmusik keinerlei Noten, sodaß wir gezwungen waren, über das musikalische Gehör nach Tonbandaufnahmen zu spielen. Von daher spielten in den damaligen Jugendbands auch nur Leute, die wirklich talentiert und musikalisch waren, besser als viele der staatlichen Berufsmusiker. Allerdings gab es da noch weitere strenge Bestimmungen. Als Berufsmusiker durfte nur spielen, wer auch richtig Musik studiert hatte. Als Amateur durfte nur spielen, wer eine staatliche Prüfung absolviert hatte. Auf dieser Prüfung wurde festgelegt, wieviel Gage die jeweilige Amateurband verlangen durfte. Freie Vertragsabschlüsse waren nicht erlaubt. Nach der Machtübernahme von Honecker Anfang der 70er wurde eine allmähliche Lockerung der strengen Verhältnisse spürbar. Der private Konsum von Westmusik wurde nicht mehr bestraft. Aber es gab immer noch keine westlichen Schallplaten ( mit wenigen Ausnahmen ) zu kaufen. Tonbandmitschnitte vom Radio waren oftmals mit Störungen behaftet und zur Einstudierung neuer Titel unbrauchbar. Aber wir wußten uns zu helfen. Auch in der DDR an den großen Universitäten studierten junge Menschen aus Afrika. Die unterlagen aber nicht den Verboten, unter denen wir zu leiden hatten. Die durften zum persönlichen Gebrauch jede Schallplatte besitzen. Allerdings hatten die stets wenig Geld, aber viel Durst. Und so halfen wir uns gegenseitig. Wir fuhren mit größeren Mengen Bier zu den Studentenwohnheimen und machten vor Ort saubere Tonbandaufnahmen von der Schallplatte.Darüber waren wir glücklich. Die schwarzen Studenten waren ebenfalls glücklich, denn sie hatten von uns reichlich Bier bekommen. Das war zwar alles nicht ganz legal, aber man achtete später nicht mehr so sehr darauf. Honecker wollte ja modern und weltoffen sein, zumal ihn Udo Lindenberg gern geärgert hatte. So war das damals.
Colorado
Ich kann Colorado nur zustimmen.So war das damals. Mitte der 60er gab es eine Menge Gruppen, die - fast ausnahmslos in der Beatles-Besetzung: Schlagzeug und 3 Gitarren - nach beschriebener "Einstufung" in mehr oder weniger guter Qualität, aber mit dem Herzen, spielten. Fast alle fielen der maroden Ideologie über kurz oder lang zum Opfer. Daß die Herren und Damen Kulturfunktionäre von nichts eine Ahnung hatten,will ich mal an einem meiner vielen auch kuriosen Erlebnisse schildern. Wir durften bei den Genossen Soldaten in der Kaserne spielen, mußten aber alle Titel vorher einreichen. Den Titel "On the road again" von Bob Dylan wollte einer der Herren übersetzt haben.Ich habe ihm erzählt, das Lied (Song wollte er nicht hören)hieße "Wieder auf der Straße" und handele von der kapitalistischen Ausbeutung und der Arbeitslosigkeit. Der Mann war begeistert und meinte: "Dieser Sänger muß unbedingt in die DDR kommen." - Demnächst berichte ich noch von einer anderen Geschichte, die mit den Beatles zusammenhängt. Bis bald
Springer (nach Band-Auflösung spielte ich als Springer in den verschiedensten Gruppen und Combos überwiegend auf dem Lande)
"......überwiegend auf dem Lande) "
Ich sehe, es gibt noch Musiker, die Ähnliches erlebt haben wie ich. Die Vorliebe, in der DDR auf dem Lande zu spielen, hatte einen ganz realen Grund. In den Städten gab es keine privaten Tanzgaststätten, nur staatliche. Und die waren an die staatlich festgelegten Honorar- Vorschriften gebunden und durften selbst Spitzen-Bands keine erhöhten Gagen zahlen. Lediglich auf dem Lande gab es noch Tanzgaststätten in Privatbesitz. Und hier konnte man mit dem Wirt eine etwas günstigere Gage aushandeln als in den Städten. Natürlich erschienen diese erhöhten Gagen bei den betreffenden Gastwirten niemals in den Geschäftsbüchern, die zahlte der aus eigener Tasche. Dafür hatte er aber im Gegenzug auch Bands auf der Bühne, die einen vollen Saal garantierten. Auch das war nicht legal, aber für beide Seiten von ökonomischem Vorteil.
Colorado
Silvester war der einzige Tag im Jahr, an dem auch das sonst so diktatorische DDR-Regime nachgeben mußte. Aufgrund des immensen Bedürfnisses der DDR-Bevölkerung nach Entspannung war die staatliche Gastronomie der DDR gezwungen, soviele Silvesterbälle wie nur irgend möglich anzubieten, ohne daß damit der wirkliche Bedarf je gedeckt werden konnte. Musik aus der Konserve wollte niemand haben. Somit war der Staat gezwungen, alle nur irgendwie greifbaren Musiker zu mobilisieren. Das führte –aus der Not heraus - mitunter zu grotesken Besetzungen wie Schlagzeug, Akkordeon, Geige und Trompete. Der Fachmann wird jetzt sicher lachen, aber in der damaligen Situation nahm man das in Kauf. Und weil nun am Silvestertage ein kolossaler Bedarf an Musikern vorherrschte sah sich die DDR außerstande, ihre ansonsten sehr strengen Vorschriften bezüglich Musikergage aufrecht zu erhalten. An diesem Tage konnte der Musiker dem Staat seine Gagenforderung diktieren. Vor dem Hintergrund des diktatorischen Charakters der DDR war das geradezu ein ungeheuerer Vorgang. Damit aber noch nicht genug. Selbst Musiker, die vom Staat mit Auftrittsverbot belegt waren wurden am Silvesterabend herangezogen. Aufgrund der Vielzahl von Silvesterbällen war es der DDR unmöglich, ihre AWA-Spitzel überall zu haben. Außerdem waren auch die bald betrunken und vergaßen meist ihren Auftrag an diesem Abend. Das wurde natürlich von den Musikern jüngerer Generation ausgenutzt. Statt der vorgeschriebenen 60 zu 40 Ost-West Regelung spielte man 99 zu 1 West. Auch das schluckte der Staat kommentarlos, denn selbst die SED-Genossen wollten mal richtig ungezwungen feiern. Aber bereits am 1. Januar herrschte wieder die übliche Strenge, bis zum nächsten Silvesterabend.
Colorado
Es muß in den Spätsechzigern gewesen sein: Die Beatles verweigerten einen Auftritt im Süden der USA, weil Schwarzen der Eintritt verwehrt wurde. Bei einigen halleschen Kulturfunktionären wurden die Pilzköpfe quasi über Nacht zu Helden, zu "sozialistischen Vorreitern im Reich des Imperialismus". Unsere Band sollte das Wochenende darauf in einem Jugendklub spielen. Der Klubleiter instruierte uns, "alle Beatelstitel zu spielen, die ihr könnt". Das es sich um ein "Politikum" handelte, sollten wir im FDJ-Hemd auftreten, was wir ablehnten. Wir hatten in diesem Jugendklub fortan Besuchsverbot auch als Gäste.
Die rückständige und bettelarme DDR tat ja immer so niveauvoll und haute mächtig auf den Putz. Das war natürlich vorn und hinten alles mehr Schein als Sein. So wurden Amateurbands auch animiert, im Abendstudium musikalische Fortbildungsmaßnahmen für Amateure zu besuchen. Dafür wurden extra spezielle Unterrichtslehrgänge für Tanzmusik angeboten. Da die Mehrzahl der Amateur-Bands nicht nach Noten sondern nach Gehör spielte- weil es keine West-Noten gab -, wollte der Staat diesen Musikern auch das musiktheoretische Rüstzeug anbieten. Das war nicht verkehrt, denn Musiktheorie und Harmonielehre gehören nun mal zum Fundament. Aber weiterhin wollte der Staat bei diesen Abendlehrgängen den Amateurmusikern ( alles jüngere Generationen ) auch die praktische Ausübung von Tanzmusik beibringen. Und das war jetzt ein Witz. Weil nämlich die DDR seit Ende der 50er nur noch Tanzmusik für die Generation der Eltern produzierte, gab es garkeine Berufsmusiker und erst recht keine Musiklehrer, die sich mit aktueller Tanzmusik auskannten. Diese Musiklehrer hatten mit ganz wenigen Ausnahmen ihre Ausbildung noch im Deutschen Reich absolviert und waren auf diesem Stand stehengeblieben. Und diese Ahnungslosen wollten ( oder sollten )uns nun beibringen wie Tanzmusik praktiziert wird. Und hier scheiterten diese Versuche weil die Lehrer sich von ihren Schülern jetzt erstmal die aktuelle Tanzmusik zeigen lassen mußten. Mental erfaßt haben diese " Lehrer " die aktuelle Tanzmusik nicht mehr. Viele von denen haben dann auch ganz offen zugegeben, daß sie sich außerstande sehen uns irgendwelche Praxis beizubringen, da wir ja die wirklichen Praktiker waren. Aber vom Grundsatz her war das doch Irrsinn wenn der Staat Dillettanten beauftragt, den Könnern etwas beizubringen. ( Nur auf Praxis bezogen, Theorie haben wir von denen gelernt ) Das zeigte sich teilweise auch in der Form, daß der Schüler das entsprechende Instrument deutlich besser beherrschte als der Lehrer. Aber man arrangierte sich und es lief dann so ab, daß während des theoretischen Unterrichtes der Lehrer das Sagen hatte, was ja auch richtig war. Kam es dann zum praktischen Unterricht, dann gaben die Schüler den Ton an und die Lehrer versuchten, sich anzuhängen, was meist mißlang. Aber es gab auch Fälle , wo der Lehrer von seiner persönlichen Mentalität her ein Jazzer war. Das war eine andere Situation, denn als Jazzer war er wirklich musikalisch. Da wurde dann auch mal Jazz und Blues gespielt und der Lehrer tat kräftig mit und brauchte keinerlei Noten, denn als Jazzer hatte er ja Musik im Blut. Und diese Lehrer wiederum, die Ausnahmefälle waren, kritisierten im vertrauten Gespräch mit uns ebenfalls die Rückständigkeit der DDR auf dem Gebiet der Tanzmusik. Nicht wenige Berufsmusiker der DDR sind nach der Wende brotlos geworden und haben den Halt verloren, weil ihr Können in einem freien und leistungsorientierten Deutschland nun vorn und hinten nicht ausreichte um internationalen Maßstäben gerecht zu werden. Die Amateure dagegen schafften fast alle den nahtlosen Übergang von der DDR zur Bundesrepublik, weil sie sich von Anfang an stets am aktuellen internationalen Stand orientierten und nicht zu Provinzkomödianten degenerierten.
Colorado
Die gesamte Musikproduktion der DDR war ja staatlich gelenkt und weil die DDR eine Diktatur war, wurde auch die sogenannte Unterhaltungsindustrie stets als ein politisches Instrument betrachtet und gebraucht. Das bedeutete in der Praxis, daß nicht die wirklichen talentierten Künstler in der ersten Reihe standen, sondern die politisch willfährigen, die aber dann künstlerisch nur zweite und dritte Wahl waren und keinesfalls international konkurrentfähig. Einen öffentlichen Beweis dieses Zustandes lieferte in der zweiten Hälfte der 60er Jahre die DDR-Fernsehsendung " Ein Kessel Buntes ". Man hatte den Sänger Ricky Shane engagiert und der sang nun auch sein " Mamy Blue ". Als Background hatte er ( wenn ich mich recht erinnere ) den Jürgen-Erbe-Chor, der musikalisch drittklassig war, aber dafür politisch zuverlässig. Mitten in seinem Gesangstitel " Mamy Blue " wollte Ricky Shane mal etwas musikalisch improvisieren, was für jeden talentierten Amateur ein Kinderspiel gewesen wäre, aber für den Berufschor Jürgen Erbe zum Problem wurde. Der hat die Aufforderung zur musikalischen Improvisation von Ricky Shane völlig ignoriert- natürlich aus purer Unfähigkeit - und leierte stur seine Notenblätter herunter, weil er mangels persönlicher Musikalität mit einer freien Improvisation bereits haushoch überfordert war. Ricky Shane blieb keine andere Wahl als seinerseits auch seinen Titel stur und normgerecht, ohne besondere musikalischen Akzente, abzuarbeiten. Uns Amateure hat diese öffentliche Blamage, die ja praktisch die ganze Welt sehen konnte, von Herzen erfreut. Zeigte sich doch hier mal der Welt die Unfahigkeit des DDR-Regimes auch auf künstlerischem Gebiet.
Colorado
Ich beneide Colorado, weil ich diese Posse leider nicht erleben durfte (man hat halt Westfernsehen geschaut). Improvisieren - nicht nur auf musikalischem Gebiet - war für die DDR schon immer suspekt. Improvisieren heißt ja: Abweichen, abschweifen, außer Kontrolle geraten. Und für die Funktionäre gab es nichts Grausameres, als über irgengwas keine Kontrolle zu haben.
Colorado wird wissen, dass häufig (in großen Kulturhäusern z.B.) vor Veranstaltungsbeginn der "AWA-Bogen" mit den zu spielenden Titeln - möglichst in der Reiehnfolge (erleichtete die Kontrolle)dem Veranstalter vorzulegen war. Nun stelle man sich vor, eine Band in der Besetzung Schlagzeug, 3 Gitarren,Piano und Saxophon spielt Titel von Bärbel Wachholz, Helga Brauer, Hartmut Eichler und anderen DDR-Superstars (wie sollte man sonst 60 Prozent Ost zusammenkrigen). Selbst der in seiner Persönlichkeit einfach strukturierte Kulturfunktionär mußte - wenn auch nur über das Gehör - spitz kriegen, dass das irgendwie nicht so richtig geht. Wir haben das anders gemacht: der Besetzung entprechende Westtitel wurden einfach in fiktive Titel umbenannt (z. B."Liebe kann auch schmerzlich sein" und einem Oststar zugeordnet. Die haben das nicht gemerkt!!! - Im Grunde genommen hätte man Beatgruppen gar nicht erst zulassen dürfen. Es ist erstaunlich, wie ein System Dummheit, gepaart mit Hilflosigkeit, als "historisch begründete Ideologie" verkaufen konnte.
springer
Zumindest im Kultusministerium der DDR muß irgendwo doch jemand gesessen haben, der nicht ganz so dumm war. Dieser Jemand muß es geschafft haben, der senilen Altherrenriege der SED klarzumachen, daß man sich nun nicht ständig blamieren dürfe und irgendwo auch mal weltoffen sein müßte. Und so zeigte sich die DDR, ähnlich wie das Deutsche Reich zur Olympiade 1936, zu gewissen Zeiten und bestimmten Anlässen " weltoffen ". Weil nun auch die DDR gern international mitreden wollte und weil sie zu den Anrainerstaaten der Ostsee gehörte und weil aus diesem Grunde auch Gäste anderer Ostsee-Staaten die DDR besuchten, gab es in der strengen Kulturpolitik der DDR eine Ausnahme. Einzig zu dem Zweck, der Welt internationale Konkurrenzfähigkeit vorzugaukeln gab es ein "Ostsee-Tanzorchester " unter der Leitung von Helmut Opel. Dieses eine Orchester, welches sich mehrheitlich aus jüngeren und vor allem auch talentierten Musikern rekrutierte,hatte Sondergenehmigung für internationale Tanzmusik aller Art. Denn so schlau war man dann im Ministerium doch, zu erkennen, daß man internationalem Publikum keine DDR-Tanzmusik anbieten kann. Dieses Ostsee-Tanzorchester spielte somit 100 % West. Und die beherrschten diese Materie hervorragend ! Was hatte aber nun der im Landesinneren lebende jüngere DDR-Bürger davon ?
Er hatte etwas davon in der kalten Jahreszeit, wenn an der Ostsee nichts los war. Dann machte das Ostsee-Tanzorchester Gastspiele in den größeren Städten der DDR. Natürlich war der jeweilige Publikumsandrang enorm, denn auch auf seiner Inlandstournee spielte dieses Orchester 100 % West, und die Genossen schluckten das. Und sie mußten das schlucken , verfügten sie doch sonst über kein weiteres Orchester mit internationaler Konkurrenzfähigkeit. Die großen Fernseh- Tanzorchester waren nicht konkurrenzfähig und konnten bestenfalls im " Kessel Buntes " bestehen. Für uns als junge Rebellen war ein Gastspiel des Ostsee- Tanzorchesters jedesmal wie ein Tag Hafturlaub.
Colorado
Seit den 60ern durften westliche Jazz-Bands in der DDR gastieren. Für die Fans hinter dem eisernen Vorhang war das jedesmal ein Ereignis. Und weil es etwas Besonderes war, hat man selbst einem Acker-Bilk seinen besoffenen Auftritt verziehen, denn der war selbst im Suff noch besser als die talentlosen Staatsmusizenten der DDR. Besonders beliebt war Chris Barber, der öfter in der DDR gastierte. Bei all diesen Gelegenheiten waren stets volle Häuser garantiert, die Nachfrage übertraf mehrfach das Angebot. Dabei erlebte ich eine traurig-heitere Begebenheit selbst mit:
Chris Barber gastierte in Halle/Saale wiedermal äußerst erfolgreich und riß das Publikum mit. Weil er nun ein so dankbares Publikum hatte wollte er auch eine Geste der Freundlichkeit zeigen. So holte er eine nagelneue Tuba hervor und berichtete, daß er dieses Instrumen am Vortage von einer Instrumentenfirma der DDR geschenkt bekommen habe. Als er den Namen " Markneukirchen" nannte, fing der Saal an zu lachen. Die Band war darüber etwas irritiert und verstand den Grund der allgemeinen Heiterkeit nicht. Das Publikum fing bei der Nennung der Firma aus Markneukirchen an zu lachen, weil diese Firma bekannt war für ausnehmend schlechte Qualität. Die Musikinstrumente aus DDR-Produktion rangierten im Weltmaßstab auf den hinteren Rängen. Das war der Grund dafür , daß das Publikum anfing zu lachen weil die DDR so blöd war und es fertigbrachte, einem Chris Barber ein Instrument miserabeler Qualität zum Geschenk zu machen. Das war 1965.
Die Conferencieres der DDR, die nun in den Gastspielhäusern die westlichen Bands durch den Abend führten, hatten von der Materie , zu welcher sie da sprechen mußten, weitaus weniger Ahnung als die Mehrheit des Publikums selbst.Deshalb konnten uns diese Drechsels und Gigos u.s.w. absolut nichts erzählen, was wir als Fans nicht schon wußten. Die Bands selbst aber haben gespürt, daß es auch hinter dem eisernen Vorhang fachkundiges Publikum gab. Und noch eine Sache, die ich heute wohl gefahrlos berichten darf. Es wurden die Konzerte nicht nur offiziell sondern auch heimlich mitgeschnitten. Die Fans hatten finanzielle Kontakte zum technischen Personal der Gastspielhäuser aufgebaut. Und so saßen während der Konzerte im Tonstudio nicht nur die Tontechniker sondern auch zwei Fans, die alles mitschnitten. Diese Mitschnitte wurden dann illegal an die Fangemeinde verkauft. Damals noch als 350er Tonband. Der Preis : Ein neues Leerband und 20 DDR-Mark. Das wurde gern gezahlt, der illegale Absatz war garantiert. Was sagt uns das? Hinterm Berge wohnten auch noch Leute und die waren nicht von gestern!
colorado
Hin und wieder gastierten auch zu tiefsten DDR-Zeiten westliche Künstler im halleschen Steintorvarieté. Irgendwann in den 70ern kam der italienische Schnulzensänger Vittorio (Melancholie im September. Während der Halbzeitpause sammelten sich die rauchenden Besucher am hinteren Ausgang (sonst nicht zugänglich. Die Veranstalter wußten, dass dort Vittorio vorbeikommen würde und ermahnten die Besucher, mit dem Künstler kein Gespräch anzufangen; schließlich lebte dieser Italiener in München, und München war Strauß, und Strauß war der Ultra, also war auch Vittorio ein Klassenfeind. Gegen eine wortlose Autogrammentgegennahme hätte man allerdings nichts einzuwenden. Der Ordnungsbeamte konnte aber "überhaupt nicht verstehen", wieso man von einem Sänger ein Autogram brauche.
Ich weiß jetzt nicht mehr, war der Film "Musik ist Trumpf" mit Hazy Osterwald oder das Konzert mit dem Sextett in Halle zuerst da. Egal. Im Steintor wurde der Kriminaltango nicht gespielt (die Männer haben sich an die Spielregeln gehalten). Im Kino lief der Film einen Tag, da wurde der Kriminaltango nebst Bill Ramsey weggeschnitten. Kommentiert wurde dieser Vorgang nirgends. Das Publikum war solche Dinge gewöhnt. Paradox nur, dass einige Zeit später im DDR-Fernsehen der Film "Kriminaltango" mit Peter Alexander gezeigt wurde. Wer hat da geschlafen?!
In den 50ern war Renè Carroll im Steintor. Ich war noch zu jung, hinzugehen und kannte den Sänger (Kein Land kann schöner sein) auch nicht. Aber am Tag nach dem Konzert wurde überall erzählt, wie der betrunkene Schnulzier das hallesche Publikum "kompromittierte": "Ja ich bin heute blau. Das ist morgen weg. Ihr aber seid rot, und das bleibt." Wäre ich las älterer Besucher dabei gewesen, ich hätte mich vor lachen ausgeschüttet.
springer
Die Jugendklubhäuser und Klubhäuser der Gewerkschaften waren in der DDR alle staatlich und wurden von Kulturfunktionären betrieben und beaufsichtigt. Die Gastronomie selbst hatte nichts zu melden sondern nur zu arbeiten. Die besagten Kulturfunktionäre waren zwar künstlerisch ungebildet und primitiv, dafür aber politisch zuverlässig ( solange sie nüchtern waren ). Und weil diese Kulturfunktionäre mehrheitlich schon reifere Semester waren, hatten sie vorher bereits dem Deutschen Reich treu gedient und ihre dort erworbene Mentalität in die DDR hinübergerettet. Nun dienten sie treu der DDR. Entsprechend ihrem Alter konnten sie sich ohnehin nicht mit jugendgerechter Tanzmusik anfreunden. Rock n Roll war verboten und darauf achteten diese Funktionäre gewissenhaft. " Alte Kameraden " war in der DDR ebenfalls verboten, aber aufgrund ihrer heimlichen nostalgischen Treue zum Deutschen Reich haben die dieses Verbot stets ignoriert, besonders dann, wenn sie entgegen ihrer Dienstpflicht dem Alkohol zugesprochen hatten. Aber ob dieser Dienstvergehen passierte diesen Klubhausleitern garnichts, denn auch deren Vorgesetzte hatten früher dem Deutschen Reich gedient und hegten die gleichen nostalgischen Gefühle. Für uns bedeutete das, wenn wir mal musikalisch zu modern wurden, diese alten Säcke schnell wieder zu besänftigen mit Musik aus der Hitler-Ära. Und alles im Namen des Sozialismus!!!
colorado
Die Unterschiede zwischen Tanzmusik Ost und West bezüglich Modernität und Qualität begannen erst in der Honecker-Ära l a g s a m zu verwischen. Ich habe in meinem persönlichen Archiv ausreichend Musikaufnahmen Ost der 50er und 60er ( auch noch original AMIGA- Schellack ), um das auch an Beispielen belegen zu können. Falls sich wirklich jemand dafür interessiert wäre es mir möglich, mal eine Ost-West Vergleichs-CD zu brennen. Auch wäre ich dankbar für Hinweise, wo noch AMIGA-Schellackplatten zu bekommen sind.
colorado
Im Gegensatz zu Colorado interessiere ich mich bis heute nicht für alte DDR-Schlager (kann auch ein hartnäckiges Vorurteil sein). Irgendwie macht mich Colorado besonders durch den jüngsten Beitrag doch neugierig, so dass ich mich mal mit der Materie näher befassen will. Übrigens kann ich ihm mit einigen Schellack-Amiga-Platten behilflich sein. - Als alter Rock-n-Roller sind natürlich Chuck Berry, Jerry Lee oder Fats Domino noch immer Favoriten. Von dem leider fast Eintagsfliege gebliebenen Chubby Checker war ich anfangs hingerissen, verlor aber bald das Interesse am Twist, der von nachfolgenden Interpreten - besonders DDR-Sängern - derart verhuntzt wurde, dass der Klang eher an ein Maschinengewehr (etwas langsamer natürlich) erinnerte. Es kam der Beat, es kam im Ersten der Beatclub. Diese Musik brachte enorm viel Neues mit sich, verkam aber auch sehr schnell dadurch, dass es bald genausoviel Beatgruppen wie Mücken am Sommersee gab. Mit wenigen Ausnahmen wie den Beach Boys konnte ich mich dauerhaft anfreunden, zog mich bis zur Wende aber weitgehend auf die "alten Sachen" zurück. Erst danach - jetzt gab es an Musik auch bei uns alles zu kaufen - stellte ich fest, dass über all die Jahre hervorragende Interpreten sehr gute Musik machten. Schon zu DDR-Zeiten ließen mich Leute wie Leonard Cohen, Solomon Burke, Billy Joe Shaver u.v.a. aufhorchen. Da ich aber nur Einzelstücke im Funk hören konnte, ging ich der Sache nicht weiter nach. Heute sind diese Musiker die neuen Favoriten, und es kommen immer mehr dazu. Ich muß aufpassen, nicht die Kaufkontrolle zu verlieren, das gäbe Ärger mit der besseren Hälfte.
Es grüßt bis zum nächsten Mal
Springer
Hier möchte ich Springer antworten. Ich stelle Vergleichs CD`s Ost-West zusammen um akustisch nachzuweisen, daß die Abneigung des größten Teiles der damaligen DDR-Jugend gegen Ost-Schlager eben k e i n Vorurteil war und ist sondern durchaus vom fachlich-musikalischen Standpunkt aus begründet werden kann. Zu dieser Beweisführung suche ich noch Ost Material der 50er und 60er. Ich sehe somit die Einstellung von Springer keinesfalls als Vorurteil sondern als fachlich begründet an.
Im übrigen bin ich auch heute noch , mit 65 , ein überzeugter RocK `n Roller.
colorado
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